VOM FALSCHEN FREUND ZUM WAHREN FREUND (2000)

INHALTSANGABE
Vorwort 2
1. Einleitung 2
2. Terminologie 3
3. Definition 3
4. Arten der falschen Freunde 3
4.1. Falsche Freunde auf der lexikalisch-semantischen Ebene 4
4.1.1. Zufällige Interferenz des Schrift- oder Lautbildes 4
4.1.2. Partiell wahre Freunde mit mindestens einer starken semantischen Abweichung 5
4.1.3. Partiell wahre Freunde mit leicht abweichender semantischen Markierung der Lexeme 5
4.1.4. Wortkreationen durch identische Übertragung der Morpheme 6
4.1.5. Falsche Freunde auf der Phrasenebene 7
4.2. Falsche Freunde auf der syntaktisch-semantischen Ebene 8
5. Schlusswort 8
6. Literatur 9

Vorwort
Bei der Übersetzung eines Textes übersetzte ich mit grösster Selbstverständlichkeit den niederländischen Ausdruck ‚dat kan je schudden‘ wortwörtlich ins Deutsche als ‚das kannst du schütteln‘. Ich hatte dies von einem niederländischen Muttersprachler, mit dem ich mich sehr viel auf Deutsch unterhielt, wohl wiederholt gehört, bis sich mein Ohr daran gewöhnte, und ich den Ausdruck unbewusst als korrekt in die deutsche Sprache integrierte.

 

1. Einleitung
Das Problem der „falschen Freunde“, der Täuschung aufgrund ähnlicher oder auch identischer Wörter bei unterschiedlicher Bedeutung in Quell- und Zielsprache ist wahrscheinlich jedem bekannt, der sich jemals bemühte, eine fremde Sprache zu erlernen.
Das folgende schriftliche Referat wird sich mit diesem Problem befassen, und sich dabei ganz besonders dem Sprachenpaar Deutsch – Niederländisch widmen. Besonders eng verwandte Sprachen wie das Deutsche und das Niederländische bieten zahlreiche Fallen und Fehlerquellen, in die sowohl Lernende einer Fremdsprache, aber auch professionelle Übersetzer immer wieder hineintappen. Vielfach werden die Differenzen der Sprachen vom Lernenden unterschätzt. Im Gegensatz dazu sind professionelle Übersetzer oft bereits so stark auf dieses Problem konditioniert, dass sie in übereifriger Wachsamkeit manchmal auch bei korrekten identischen Übereinstimmung Misstrauen hegen.1
Im Folgenden werden Unterschiedliche Arten von falschen Freunden und einige Beschreibungsmöglichkeiten der Irrtumquellen vorgestellt. Zur Veranschaulichung der Probleme sollen Beispiele dienen.

2. Terminologie
Der Begriff ‚falsche Freunde‘ wurde schon 1928 von der französischen Sprachwissenschaftlerin M. Koessler2 geprägt. Obwohl dieser Begriff sich so stark von den üblichen linguistischen Fachbegriffen lateinischer und griechischer Herkunft abhebt, hat er bis heute weite Verbreitung gefunden (englisch: ‚false friends‘, französisch: ‚faux amis‘, spanisch: ‚falsos amigos‘). Vereinzelt werden die falschen Freunde manchmal auch als (zwischensprachliche) Paronyme bezeichnet.3

 

3. Definition
„Falsche Freunde“ sind Lexeme in einer fremden Sprache, deren Schriftbild oder Lautform einem Wort der eigenen Sprache sehr ähnlich ist, so dass der Gedanke naheliegt, sie bedeuteten auch dasselbe, während ihre Bedeutung tatsächlich voneinander abweicht, oder sogar gänzlich verschieden ist. Zu den bekanntesten Beispielen zählen Fälle wie aus dem Englischen ‚gift‘ (‚Geschenk‘) gleichlautend mit dem deutschen Wort ‚Gift‘.

 

4. Arten der falschen Freunde
Das Phänomen der Falschen Freunde kann unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Es gibt verschiedene Ursachen, die zu einer Täuschung und falscher Lexemwahl bei einer Fremdsprache führen können. Die Fehlerquelle bei der Übertragung von einer Sprache in eine andere reicht von ganz einfachen Wortverwechslungen aufgrund arbiträrer Identität bedeutungsdifferenter Lexeme bis zu - auf kulturellen Unterschieden basierenden semantischen Abweichungen.

4.1. Falsche Freunde auf der lexikalisch-semantischen Ebene
4.1.1. Zufällige Interferenz des Schrift- oder Lautbildes
Diese Art ist die wichtigste und auch die bekannteste, augenscheinlichste der Irrtumquellen. Aufgrund der Ähnlichkeit eines fremden Wortes mit einem Lexem der eigenen Sprache wird fälschlich angenommen, die Bedeutungen seien identisch. Dabei handelt es sich um eine reine Zufälligkeit der Interferenz, beziehungsweise liegen die gemeinsamen Wurzeln der Lexeme so weit zurück, dass der Sprachgebraucher keine semantische Gemeinsamkeit erkennen kann. Beispiele hierfür sind in Tabelle 1 angegeben.
ÄQUIVALENTEN   FALSCHE FREUNDE   ÄQUIVALENTEN  NIEDERLÄNDISCH DEUTSCH NIEDERLÄNDISCH DEUTSCH
graag hebben, zin hebben in mögen mogen dürfen
mogen
dürfen
durfen
sich trauen, wagen
wurden
werden
worden
werden
kleinkind
Enkel
enkel
Knöchel
snot
Rotz
rots
Fels(en)
schars, ternauwernood
knapp
knap
hübsch
touw, koord
Seil
zeil
Segel
zich bezig houden
(sich) befassen
bevatten
enthalten, begreifen
behang(sel)
Tapete
tapijt
Teppich
zee
Meer
zee
Meer
meer
See
meer
See
mogen
dürfen
durfen
wagen
er zin in hebben, ervan houden
mögen
mogen
dürfen
hoeft niet
muss nicht
moet niet
darf nicht
Tabelle 1

 

Abweichung


Im zweiten Fall handelt es sich um partiell ‚wahre Freunde‘ (false cognates). Hier spricht man von einer Irrtumquelle aufgrund von Polysemie (lexikalische Ambiguität) die das Lexem in mindestens einer der Sprachen aufweist. Das Wort hat also mehrere Bedeutungen, die sich auf gemeinsame etymologische Wurzeln zurückführen lassen. Die Bedeutungen überlappen sich zwar in einer Lesart, jedoch hat ein Lexem des Wortpaars mindestens eine gänzlich abweichende Bedeutung.
ÄQUIVALENTEN
FALSCHE FREUNDE
ÄQUIVALENTEN
NIEDERLÄNDISCH
DEUTSCH
NIEDERLÄNDISCH
DEUTSCH
vorderen, eisen
fordern
vorderen
vorankommen, fordern
brullen, schreuwen
schreien
schreien
heulen, weinen, schreien
lastig, gemeen, vies
fies
vies
schmutzig, übel, unappetitlich, ekelhaft
staat, rijk, overheid
Staat
staat
Lage, Zustand; Staat
Tabelle 2

 

4.1.3. Partiell wahre Freunde mit leicht abweichender semantischen Markierung der Lexeme


Einen feinen Unterschied zu der oben beschriebener Art gibt es bei dieser Kategorie der Falschen Freunde, bei der der Bedeutungsunterschied nur ganz gering ist. Das heisst, in den meisten Kontexten kann das Wortpaar äquivalent verwendet werden, jedoch gibt es Bereiche, in denen sich in der einen Sprache die Bedeutung des Lexems abgespalten hat, während es dafür in der anderen Sprache ein Synonym verwendet wird.


ÄQUIVALENTEN
FALSCHE FREUNDE
ÄQUIVALENTEN
NIEDERLÄNDISCH
DEUTSCH
NIEDERLÄNDISCH
DEUTSCH
inrichting, instituut
Einrichtung
de inrichting
Einrichtung; Anstalt; Organisation; Unternehmen
rekening, factuur
Rechnung
rekening
Rechnung, Konto
bank
Bank
bank
Couch, Bank
praten, spreken
sprechen
spreken
sprechen
nächst, folgend
folgende
volgende
nächste

 

Tabelle 3

 

4.1.4. Wortkreationen durch identische Übertragung der Morpheme
Hier handelt es sich um Wortbildungen, die formal jeweils nur einseitig im Lexikon belegt sind. Es wird von einer Äquivalenz der Bestandteile von Komposita ausgegangen, oder die morphologischen Gesetzesmässigkeiten der Muttersprache werden auf die Fremdsprache projiziert, und so Wörter erschaffen, die in der Zielsprache nicht existieren, oder semantisch verschieden belegt sind.8
ÄQUIVALENTEN
FALSCHE FREUNDE
ÄQUIVALENTEN
NIEDERLÄNDISCH
DEUTSCH
NIEDERLÄNDISCH
DEUTSCH
overeenkomen, regelen, afspreken
abmachen
afmaken
erledigen, fertigstellen; umbringen, töten
vervoeren, transporteren
befördern
bevorderen
fördern, befördern
Tabelle 4

4.1.5. Falsche Freunde auf der Phrasenebene
Eine ganz besondere Art der Interferenz geht in die lexikalisch-pragmatische Richtung der lexikalisch-semantischen Ebene. In diesem Fall findet man keine Ähnlichkeit des Schrift- oder Lautbildes der Lexeme, denn die Irrtumquelle liegt auf der Phrasenebene. Hier weicht die semantische Struktur der Zusammensetzung der Ausdrücke voneinander ab. „Idiomatische Wendungen sind, wie die Bezeichnung schon sagt, nur einer Sprachgemeischaft eigen und daher in der Regel nicht wörtlich in eine andere Sprache zu übersetzen.“9 Die Übertragung des semantischen Aufbaus der eigenen Muttersprache auf die Strukturen der Fremdsprache ist ganz besonders für Lernende typisch, die ganz am Anfang des Kennenlernens der Eigenheiten der neuen Sprache stehen. Jedoch nicht nur Anfänger in einer neuen Sprache, auch die chinesisch-niederländische Bestsellerautorin füllte ihren Debütroman10 mit wortwörtlichen Übersetzungen von Redewendungen aus ihrer chinesischen Muttersprache. Die daraus entstandenen kuriosen niederländischen Satzkonstruktionen ernteten zugleich viel Kritik, fanden jedoch im niederländischen Publikum überraschend grossen Gefallen.


Wird jedoch der niederländische Begriff ‚doodlopende straat‘ mit ‚totlaufender Strasse‘ übersetzt, kann es zu erheblichen Verständigungsschwierigkeiten führen. Die korrekte Übersetzung wäre „Sackgasse“.11 ‚Voor elkaar komen‘ heisst etwa auch nicht ‚für einander kommen‘, sondern ‚in Ordnung gehen‘. Die beim niederländischen Ausdruck ‚hoogte van iets krijgen‘ verwendete für ‚Wissen‘ Metapher ‚Höhe‘ findet sich in der Deutschen Entsprechung nicht wieder, sondern wird anders ausgedrückt, nämlich ‚aus etwas schlau werden‘. Diese Reihe liesse sich beliebig fortsetzen, zumal die niederländische Sprache im Vergleich zum Deutschen sehr reich an Redewendungen und Idiomen ist. Ein Charakteristikum des Niederländischen ist auch, dass Idiome zum alltäglichen Sprachgebrauch gehören, die sich auch in formellen Texten wiederfinden, während dies für das Deutsche eher unüblich ist.

4.2. Falsche Freunde auf der syntaktisch-semantischen Ebene
Obwohl hier aus Rahmengründen auf diese Kategorie nicht eingegangen wird, soll erwähnt werden, dass sich Irrtumquellen wie oben beschrieben, nicht auf die lexikalische Ebene beschränken. Das Schema der Fehlerquellen bei einer identischen Übertragung einer Sprache in die andere lässt sich von der semantischen Ebene auf die syntaktische Ebene fortsetzen. Diese steigt über die Bedeutungsebene hinaus in stilistische Problembereiche und behandelt die Form betreffende Besonderheiten von Sprachen, die genauso wie die Bedeutungsinhalte in jeder Sprache eigenen Regeln folgen. Ein Beispiel soll hier zur Verdeutlichung genannt werden: Das Niederländische ist sehr reich an Relativsätzen, deren Struktur sich problemlos ins Deutsche übertragen lässt, ohne die Sätze grammatikalisch oder stilistisch zu verzerren. Übernimmt man jedoch diese Satzstruktur bei einer Übersetzung eines längeren Textes immer wieder, bekommt der deutsche Text einen schwerfälligen, langatmigen Charakter.


5. Schluss
Es sei an dieser Stelle noch darauf hinzuweisen, dass es noch weitere Arten gibt, falsche Freunde zu beschreiben. Ein Beispiel wäre etwa irrtümliche Benutzung der eher für das Englische relevanten ‚Bastardwörter‘, wie etwa das deutsche ‚Handy‘ der im Englischen jedoch ‚nützlich‘ bedeutet. Ebenso sei zu erwähnen, dass sich auch die oben genannte Gliederung noch weiter präzisieren und unterteilen lässt. Die Kategorien sind überdies nicht disjunkt, nicht alle Beispiele können eindeutig einer Art zugeordnet werden. Die willkürlich gewählten Lexeme zur Veranschaulichung der Beschreibungsmodelle wurden intuitiv eingegliedert.

6. Literatur
ALTHAUS, Johanna: Fast wie Deutsch? Von den Schwierigkeiten beim Übersetzen aus dem Niederländischen. In: Reizende Nachbarn (Nachbarn Nr. 36/1922), S. 74ff.
BEUNINGEN, Helga van: Literarisches Übersetzen aus dem Niederländischen. In: Nachbarsprache Niederländisch, 1/94, S. 11ff.
BREITKREUZ, Hartmut: False Friends. Stolpersteine des deutsch-englischen Wortschatzes. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1994
BUSSMANN, Haumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. Kröner, Stuttgart. 1990.
KOESSLER, Maxime: ‚Les faux amis des vocabulaires anglais et américain.‘ Neue Ausgabe. Paris 1975.
PETERSEN, Hans: Das Phänomen Falsche Freunde im Lichte unterschiedlicher Beschreibungsmodelle. Kassel, 1990
SPILLNER, Bernd: Error Analysis. A Comprehensive Bibliography, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins 1991.