Zeugen des Glaubens

Amy Fabijenna Lang

 

Islam ist die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Europa. Der Erfolg kultureller Integration erfordert eine herzlichere Ethik deutschsprachiger Berichterstattung.

 

Über den Islam sprechen wir in Schlagwörtern wie Radikalität, Kopftuchtragen, Staatsbürgerschaft, gemischte Schulklassen und Sprachbeherrschung. Negative Schlagzeilen in der Islamberichterstattung sowie islamischer Einwanderung beherrschen seit der iranischen Revolution die Sprache und die Bilder der Medien.

 

Stärkt Glaube oder fordert sie säkulare Werte heraus?

 

Islam gerät im Zuge der Unterlassung neutraler Berichterstattung in den Interessenkreis jener, die sich vorwiegend mit Gewaltproblematiken auseinandersetzen. Offenbar geht es stets um unterschiedliche kulturelle Normen. Erfolg von Gemeinschaft und Harmonie bleibt außen vor. Integrationsbereitschaft und auch die Fähigkeit neuer Bürger scheint vor dem Hintergrund solch massiver Thematisierung von Gewalt und deren Motiven wenig beachtenswert. Es wird anscheinend vergessen, dass Gewalt niemals anders motiviert ist als durch erfahrenes Leid. Meistens verursacht durch mangelnde Teilhabe an sozialer Gerechtigkeit: Bildung, Freiheit und Menschenrecht.

 

Wenn einer Religionsgemeinschaft Gewaltbereitschaft unterstellt wird, wird vernachlässigt, dass Religion als eine die Gewalt grundsätzlich nicht befürwortende Institution zu verstehen ist. Mit welcher Kausalität belasten wir aber heute Religionen angesichts universaler Gegebenheit menschlicher Schwäche und Irrwege?

Stell Dir vor, es blüht der multikulturelle Frieden und keiner spricht davon...

 

Es ist kulturelle und gesellschaftliche Bemühung einer Religion Realität von Gewalt in unterschiedlicher Art und Weise, jedoch immer mit dem Ziel globalen Friedens zu begegnen. Lehren aus Religion können nicht für die Kultur, sowie Irrbarkeit von Individuen einstehen. 


Auch das Studium der Prophetentradition kann diesen Frieden nicht erzwingen, solange Individuen in ihren Unzulänglichkeiten verhaftet im Ausagieren von Gewalt ein Ventil für sonst unermessliches persönliches Leid suchen und finden. Weder verleitet Religion kein Individuum zur Ausübung von Gewalt, noch kann und darf solches Verhalten auch nicht rechtfertigen. Ein Konflikt bedarf außerdem keiner ideologischen Rechtfertigung sondern vielmehr der Toleranz und der Gnade als höchste Formen von Menschlichkeit.

 

Bürgerliches Miteinander ist und war immer schon ihrer Natur nach auch multikulturell. Die Rolle, welche ein Kulturkreis im globalen Miteinander spielt, kann nicht zugleich als eine Frage des Glaubens verstanden werden. Eine Suche nach Gewaltursachen in der Religion ist nichts anderes als eine Kapitulation eigener Werte und Einstellungen. Der Dalai Lama hatte wohl Ähnliches im Sinn, als er im Kontext einer seiner Pariser Reden über den Buddhismus mit folgenden Worten freundlich an sein Publikum richtete: „Bleibt Christen!“

 

Menschlichkeit versus Erfolgsstreben

 

Die größte Wirkkraft meinungsbetonter Kommunikationsformen wie Literatur und Karikaturen ist jener Anstoß, den ihre Aussage beim Publikum bewirkt. Eine Abwehr in der Form einer Fatwa auf den subjektiven Prozess der Rezeption und der Rezipierbarkeit solcher Kommunikationen vergeht sich selbst an den multikulturellen Frieden. Es ist eine gegen die demokratische Meinungsfreiheit gerichteter Unfrieden.  Mehr noch als das, vergisst und leugnet es den Interpretationen meinungsbetonter Kommunikationsformen innewohnende Subjektivität. Es sind subjektive Empfindungen, welche diese Kunst bewirkt. Diese können nicht auf eine dem Frieden dienende Weise auf das Kollektiv bzw. einer kollektiven Rezeptionsweise übertragen werden, ohne dass sie vor diesem Hintergrund erzwungen werden, ja, als Gewalt bezeichnet werden können.

 

Ästhetische Gründe sprechen für eine Vermeidung geschmackloser, das heißt offen provozierender Produktionen. Jedoch wo auch immer die Grenze zwischen Geschmacklosigkeit und Kränkung liegt, sie obliegt dem schützenswerten Recht auf freie Meinungsäußerung von Individuen. Wenn eine demokratische Gesellschaft Toleranz gegenüber der Meinung seiner Bürger erweist, könnte das subjektive Empfinden, welches sich von dieser Toleranz gestört fühlt, wäre vielleicht eine adequate Reaktion seitens der Angegriffenen eine den Geschmack der Meinungsäußerung betreffend seinerseits immernoch im Bereich interpersonalen Kommunikation gerechtfertigt. Einen Schritt zuweit und öffentliche Meinungsbildung verkennend gibt sich jedoch ein Fatwa gegen dem Autor der Kränkung zu erkennen.


The map is not the territory


Eine Fatwa kann von vielen Muslimen als Kommunikationsmittel gesehen werden in einer Kultur, welche die ihn ausmachenden Individuen ungleich demokratischer Werte keine andere Meinungsäußerungen gestattet, als die Androhung und / oder Vollzug von Gewalt.

 

Der Versuch, unliebsamen Meinungen anderer durch ein Fatwa vorzubeugen, entblößt lediglich die Betroffenheit der Anprangernden. Das vielleicht beabsichtigte Entblößen der Kunst als Gewalt scheitert hingegen!


Die künstlerische Darstellung einer Frau mit einem Vers aus dem Koran auf ihrem Rücken gepinselt ist eine vollendete Blöße, welche sich jedoch innerhalb des Rahmens eines Kunstwerkes befindet und bewegt. Es ist die subjektive Entscheidung des Rezipienten wie er mit einer allerdings nur vermeintlich beabsichtigten Kränkung umgeht.


Behebt die Kunst die Fehler von Religionen?


Es ist die Blöße einer Religion, welche auf der Suche nach seiner ureigenen Essenz die Bloßstellung seiner Natur gemäßen Suche nach Gott befürchtet, als Suchender erkannt zu werden und nicht als Findender.


Gefundene Essenz ist immer unsagbar - dieser Unwägbarkeit nähert sich Kunst mit seinen eigenen Mitteln. Die Angst, dass das Unsagbare von jemandem anderen entblößt wird kann nur aus der Abspaltung eines Individuums - das möglicherweise diese Unwägbarkeit für sich einnehmen möchte - entstehen. Der Natur nach ist solches Verhalten ebenso wie die Kunst eines Künstlers immer individuell und stellt nicht jenen kollektiven Wert unseres Begriffes von Religion oder Kunstschaffung dar.


Es ist jene subjektiv empfundene Entblößung einer Ansicht nicht jedoch etwas so kollektiven wie der persönliche Glaube oder Gefühl der Zugehörigkeit einer Religion zu sein vermochte!


Eine solche kollektive Entblößung vermochte der aus religiösen Motiven getötete Regisseur Theo van Gogh, Urenkel des Malgenies Vincent van Gogh, somit nicht zu vermitteln! Es ist jene Vermutung, dass das als Kränkung verstandene Kunstwerk populär werden und eine Massenreaktion einer kollektiven Abwertung des islamischen Glaubens hervorrufen würde, welche den Attentäter wohl zur Gewaltreaktion des Mordes an van Gogh bewegte.

 

Es stehen die Subjektivität der Kunst sowie das kollektive Selbstverständnis in einer Religion einander gegenüber. Die Frage ist offen, ob Kunst wie vom Attentäter vermutlich angenommen jemals die Rolle einer Religion einnehmen, diese Verdrängen kann. Da Kunst und Religion universale Begriffe darstellen, könnte man jedoch meinen, sie würden durch Einfluß transformiert nicht aber ausgelöscht werden, so wie Kunsterschaffung und Glaube sich schon immer durch die Zeit gewandelt niemals aber aufgehoben wurden.

 

Kunst versus Meinung

 

Eine Absicht, den Kunstschaffenden seiner Meinung zu überführen wie auch das Zurückhalten der Ursprünglichen Wirkung des Werkes, sowie der Versuch, diese durch jene letztlich aus dieser Tat folgenden Wirkung zu ersetzen, verstärkt die Wirkung der Kunst lediglich und zu wohl. 

 

Weshalb westliche Künstler und Meinungsträger, welche sich mit dem Islam auseinandersetzen, immer wieder von Islamisten angegriffen werden, wäre hingegen ein Thema für Auseinandersetzungen über den Islam. Anschließend bleibt eine interkulturelle Klärung und Aufklärung über die friedfertige Deutung des Begriffes über den Dschihad als Bemühen um Bildung sowie um Pflege von Kultur unerlässlich.

 

Verzicht auf Zwang und Gewalt ist unerlässlich für wahre Loyalität unter Gläubigen so wie auch Kunst in der Regel grundsätzlich nicht gegen Leib und Leben verstößt. Eine Auffassung über kritische Kunst und Literatur als Feinde des Islam ist somit nicht oder lediglich als Projektion eigener, durch fehlende Meinungsäußerungsmöglichkeiten unterdrückter Gewaltbereitschaft gerechtfertigt.  

Eine friedvollere Reaktion auf Nichtgefallen van Gogh's Kunst könnte immerhin ein Jahrzehnt später noch sehr geringfügig verstandenes und praktiziertes Appel von Muslimen an die Kunst sein.  Die eigentliche Bedeutung des Dschihad als Bemühen um ein friedvolleres Miteinander und Bildung könnte sich auch auf die Befruchtung von Kunst mit Gottesdienst sein. Jede Auseinandersetzung bringt nur jenen Grad universellen Friedens und Friedfertigkeit hervor, den sie selbst vorlebt.

Einer Deeskalierung globaler Gewalt zum Ziel seien Künstler und Vertreter von Religionen aufgerufen in den Dialog miteinander zu treten. Wie dieser Dialog auszusehen hat, darin arbeiten bereits Gemeinschaften in aller Welt. (Beispielsweise die Jugend Liga Kultur in Wien mit ihrem regelmäßigen gemeinschaftsstiftenden Programm sowie Bildungs und Informationsangeboten).

Sowohl Medien wie den "Thrill" gewohnten Rezipienten mag dies zu wenig relevant um darüber Bericht zu erstatten. Die Wahrheit bezüglich multikultureller Realität mag jenseits der Annahmen über Gewaltbereitschaft oder gar einer Verwurzelung dessen in den Glaubenssätzen einer Religion liegen. Eine öffentlich ausgetragene Hetzjagd auf die Einen, wie eine Rache motiviert durch verletzte Gefühle zeugt schließlich von sehr schlechten Kommunikationsmaximen und von Vernachlässigung von Dialogchancen. Von diesem Mangel sprechen sicherlich mittlerweile fast zur medialen Imperative erhobenen Thematisierungsrahmen des Islam namens "Radikalität" und der Annahme der Unvereinbarkeit dieser Glaubensrichtung mit demokratischen Prinzipien.

 

Beide sind vorläufige Stellungnahmen zu einer Wirklichkeit, die man nicht kennt, nicht kennengelernt hat, und die Genügsamkeit mit solch unzulänglichen Prämissen ist hingegen ein Armutszeugnis der Vernachlässigung eigener hochgehaltener demokratischen Prinzipien.


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Amy Fabijenna Lang hat sich mit der medialen Integration von Muslimen im deutschen Sprachraum beschäftigt